Höher, Schneller, Weiter – Neid und Missgunst im Studium

26.11.2014

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Author: Joanna
Autor*inJoanna
Zwei Studierende stehen sich feindselig Kopf an Kopf gegenüber

“Um Neid ist keiner zu beneiden”. – Wilhelm Busch

Jeder von uns kennt Neid. Dieses hässliche Gefühl, das einen plötzlich aus dem Hinterhalt überfällt. Ein giftiger Stachel, der ordentlich ins Selbstwertgefühl piekst und schlagartig wütend, mies gelaunt und manchmal sogar aggressiv macht. Oft entzündet sich der Neid und die Missgunst an Besitztümern eines Mitmenschen oder seinem sichtbaren Erfolg: Man beneidet ihn um sein dickes Gehalt, die tolle Wohnung im angesagten Viertel oder die coolen Klamotten. Doch mittlerweile macht der Neid auch nicht mehr vor immateriellen Gütern halt, sondern weitet sich aus auf gute Noten, bestandene Examen und bessere Skripte. Besonders gut zu beobachten ist dies an deutschen Universitäten, wo sich die Spezies der sogannten “Neidhammel” mehr und mehr breitmacht. Gilt jetzt also ab sofort die Devise: “Mein*e Kommiliton*in, der/die Konkurrent*in?”

Postiver Neid

Eines vorweg. Neid ist nicht immer schlecht. Eine Prise davon kann man durchaus zum Anlass nehmen, um seinen Ehrgeiz zu stimulieren, sich mal wieder herausgefordert zu fühlen, und zwar im rein positiven Sinne. Sich mit anderen zu vergleichen, ihnen nachzueifern und selbst zu erreichen, was wir diesen neiden, kann dann ein Ansporn sein, um mal wieder “in die Pötte” zu kommen, also aktiv zu werden und auch mal wieder die eigene Kreativität aufleben zu lassen. Die meisten jedoch übertreiben es gern mit dem Neid indem sie ihren Mitmenschen gar nichts mehr gönnen und das macht besonders jungen Menschen an der Uni erheblich zu schaffen.

“Blass vor Neid”

Neid sagt man nicht nur nach, dass er hässlich ist, sondern dass er auch hässlich macht. Außerdem auch blass, gelb, grün oder alles auf einmal. Und wen einmal das schäbige Gefühl des Neidens und der Missgunst überkommt, der fühlt sich direkt selbst kümmerlich und minderwertig. In der Regel neiden wir eher Privilegien als Fertigkeiten, doch neidische Menschen/Studierende nehmen gerade letztere gern als ungerechtfertigte Privilegien wahr. Das Auslandssemester in Barcelona, das größtenteils selbst finanziert wurde, das mit viel Einsatz beendete Praktikum oder das nach wochenlanger “Büffelei” bestandene Examen des/der Kommiliton*in, wird dann nicht bloß nicht gegönnt, sondern direkt mit Sprüchen der Kategorie: “Mein Prof war halt anspruchsvoller”, “Meine Klausur war aber auch viel schwieriger“ oder “Der Stoff, den ich lernen musste, war ja auch doppelt so viel”, mies gemacht. Wieso also können Studierende ihre*n Kamerad*innen den Erfolg nicht gönnen? Und wann wurde die Uni zur Konkurrenz- und Kampfarena erklärt?

Idiotie einer Leistungsgesellschaft

Wir leben in einer Zeit der hemmungslosen Selbstoptimierung und dem dringenden Drang nach Perfektion. Wir wollen alles schaffen, am liebsten gleichzeitig und so schnell wie möglich. Dabei auch noch besser sein als die anderen, um in dem wonnigen Gefühl des inneren Triumphs zu baden. Ohne Rücksicht auf Verluste werten wir also den anderen, seine Talente und Erfolge, ab, um uns selbst gut zu fühlen. Denn mal ehrlich, wir schaffen es eh nicht, unsere überdimensionalen Ansprüche zu erfüllen. Frustration aber lassen wir nicht durchgehen, denn Frustration ist Schwäche und die können wir uns heutzutage nicht leisten, jetzt, wo das Leben unsicherer ist denn je und ein einziger Kampf um die besten Zukunftschancen, wo nur der oder die Beste gewinnt. Denn nur der oder die Beste bekommt den Arbeitsplatz.

Wir leben unter ständigem Konkurrenzdruck und können gar nicht anders, als uns dem Vergleichswahn hinzugeben. Gute Noten reichen nicht, Auslandserfahrung, soziales Engagement und mehrere Praktika sind das Minimum. Das denken wir zumindest und wundern uns dann darüber, dass wir das alles nicht schaffen. Dass aber Jede*r seine/ihre eigenen Ressourcen hat, unterschiedlich belastbar ist und andere Voraussetzungen mitbringt, übersehen wir dann einfach. Schnell neiden wir den anderen ihre Erfolge, denn wir fühlen uns verletzt, weil der andere gut ist. In Folge dessen geben Studierende ihre Unterlagen lieber nicht weiter, Mitschriften von Vorlesungen werden auch ungern ausgehändigt. Viele Studierende ziehen sich zurück, lernen alleine statt in der Gruppe – damit die anderen nicht merken, wie viel sie wirklich büffeln. Freundschaften gehen zu Bruch, weil man dem anderen den Erfolg nicht gönnt, aber auch nicht ansprechen kann, dass man neidisch ist, denn Neid gilt immer noch als Tabu und niemand will zugeben, dass er welchen empfindet. Mit innerer Zufriedenheit hat das wohl nichts zu tun.

Neid ist Angst

„Neidische Menschen wissen nicht, was gut für sie ist, ihr Neid entsteht durch mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten,“ erklärt Dr. Rolf Haubl, Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt. Neid entsteht also aus Angst, es nicht mit den anderen aufnehmen zu können, später im Leben den Kürzeren zu ziehen, vor allem was den Studienabschluss und den Job betrifft. Doch gerade Studienanfänger*innen wissen nicht immer zu hundert Prozent, in welche Richtung es im Leben gehen soll und besitzen nicht die nötige Gelassenheit, um damit entspannt umzugehen. Sie können nicht genau sagen, welche Fertigkeiten sie tatsächlich mitbringen und was sie auszeichnet, also orientieren sie sich zunächst an anderen, denen sie nacheifern und bauen ihre Persönlichkeit und das Vertrauen in sich selbst erst aus. Neid wird für sie daher schnell zum Dilemma, denn nur wer sich selbst genug ist und zufrieden mit seinen Leistungen, wird vom Gefühl des Neidens verschont bleiben.

Vergleichswahn abstellen und Zufriedenheit zulassen

Sich mit anderen sportlich zu messen ist legitim und spornt oft an, aber man darf es nicht zu verbissen sehen. Wer viel lernt und sich “reinhängt”, um eine super Note zu bekommen, der darf auch stolz auf seinen Erfolg sein und muss sich nicht verstecken! Schon Ocar Wilde vertrat die Auffassung: “Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.” Also sollte man sich lieber nicht ins Grübeln über angebliche Unzulänglichkeiten zurückziehen, sondern die Zeit an der Uni vor allem dazu nutzen, um das Leben zu genießen, Freund*innen zu finden, Erfahrungen zu sammeln, die ein oder andere Dummheit zu begehen und sich selbst kennenzulernen. Im besten Fall lernt man in dieser Zeit auch, dass es immer Jemanden geben wird, der besser ist, der “Höher, Schneller und Weiter” zu seinem Motto gemacht hat. Und trotzdem lässt man sich seine innere Zufriedenheit nicht nehmen. Auf diese Weise lebt man nicht nur glücklicher, sondern erspart sich auch seinen ersten Burn-Out mit Anfang 30. Die Realität wird einem ohnehin noch oft genug auf die Füße fallen. Zum Arbeiten jedenfalls, hat man dann noch sein Leben lang genug Zeit.